Ölziehen – warum und wie?

Teil meiner Morgenroutine – und wer mich kennt, weiß, dass Morgenroutine eines meiner Lieblingswörter ist – ist das Ziehen von Kokosöl nach dem Aufwachen. Ein Glas mit reinem, kaltgepresstem, biologischem Kokosöl steht immer neben meinem Bett, zusammen mit einem Olivenholzlöffel. Wenn ich aufwache, nehme ich einen Löffel Öl in den Mund und beginne es zwischen meinen Zähnen hin und her zu ziehen, während ich mein Journal schreibe (ein anderer wichtiger Punkt meiner Morgenroutine aber dazu an anderer Stelle mehr).

Aber was hat es mit diesem Ölziehen nun auf sich?

Das Ziehen von Öl (ursprünglich auch Sesam- oder Sonnenblumenkernöl) stammt aus der Ayurvedischen Medizin – einem holistischen Gesundheitssystem, das seine Ursprünge vor ca. 5000 Jahren in Indien hat.  Facettenreiche Ölanwendungen (Massagen, Stirngüsse, etc.) sind ein wichtiger Teil der ayurvedischen Lehre und ihre wohltuenden Wirkungen auf den Körper werden an vielen Stellen betont. Öl harmonisiert, entgiftet, reinigt, pflegt & heilt. Schon in der ältesten ayurvedischen Schrift, der Charaka Samhita, wird das Ölziehen unter dem Namen Kavala Gandoosha (hier wird der Mund komplett mit Öl gefüllt) oder Kavala Graha (Ölziehen wie hier erklärt) beschrieben. Neben dem Kauen auf Stöcken und der Einnahme von Kräutern, ist Ölziehen wichtiger Bestandteil der empfohlenen Mundhygiene.

Im Westen wurde das Ölziehen von Dr. F. Karach, einem russischen Arzt, erstmals in den 80ger Jahren auf dem all-ukrainischen Kongress der Onkologen und Bakteriologen als altes russisches Volksheilmittel propagiert. Es scheint also auch hier eine Tradition des Ölziehens zu existieren.

So weit zur Herkunft des Ölziehens. Aber warum sollte Ölziehen nun Teil deiner Mundhygiene werden?

So, wie du Zahnseide verwendest, um Essensrückstände und damit Bakterien aus deinen Zahnzwischenräumen zu entfernen, solltest du Ölziehen, um die Bakterien aus der gesamten Mundhöhle und von der Zunge zu eliminieren. Es befindet sich nämlich 60-80% der ca. 50 Millionen Bakterien im Mundraum auf deiner Zunge, deren raue Oberfläche eine ideale Brutstätte darstellt. Die meisten Mikroorganismen, die sich auf deiner Zunge ablagern, bestehen au seiner einzigen Zelle, deren Membran aus Fett (Lipid)  besteht. Wenn diese Zellen in Kontakt mit Öl kommen, verschmelzen sie aufgrund ihrer lipophilen Natur automatisch. Das heißt, du nimmst die ganzen Bakterien in das Öl mit auf und spuckst sie mit aus, wenn du dein Kokosöl ausspuckst. In der Nacht lagern sich auf der Zunge eine Vielzahl von Bakterien und Giftstoffen ab, die der Körper bei seinen eigenen Reinigungsprozessen durch Verstoffwechselung ausscheidet. Daher kommt der typische morgendliche Mundgeruch. Diesem kann somit mit Ölziehen entgegengewirkt werden, da die Bakterienflora im Mund- und Rachenraum gesenkt wird. Aber auch bei wundem Zahnfleisch, Plaque und trockenen Lippen kann Ölziehen wahre Wunder bewirken. Außerdem hilft die Ölzieh-Praxis laut verschiedener Studien bei Karies und macht die Zähne bei regelmäßiger Wiederholung deutlich weißer.
Auch hat Ölziehen eine stark entgiftende Wirkung, denn durch die Saugbewegung wird die Thymusdrüse angeregt, die den Sitz unserer Immunität darstellt. Die Speicheldrüsen sind nicht nur bei der Verdauung relevant, sondern scheiden auch aktiv Giftstoffe aus. Du startest also jeden Morgen mit einer kleinen Detox-Kur in den Tag.

Und wie mache ich das jetzt?

Vor dem Ölziehen solltest du nichts trinken, da sonst die ganzen Bakterien einfach in deinen Verdauungstrakt geschwemmt werden. Du nimmst also als erstes am Tag ungefähr einen Teelöffel Kokosöl in den Mund. Das Öl verflüssigt sich durch die Temperatur in deinem Mundraum ziemlich schnell und dann beginnst du es kontinuierlich zwischen deinen Zahnreihen durchzuziehen. Klassischerweise sollte das Öl für ungefähr 20 Minuten im Mundraum gehalten werden, aber fang ruhig mit fünf Minuten an; auch hier sind schon positive Auswirkungen zu verzeichnen. Wenn du das Öl ausspucken möchtest, dann bitte in deinen Kompost oder den Mülleimer. Es in das Waschbecken zu spucken schadet deinen Abflussrohren und das Wasser muss in der Wiederaufbereitungsanlage vom Öl gereinigt werden. Du könntest auch Sesam- oder Sonnenblumenkernöl nehmen, aber Kokosnussöl verfügt zusätzlich über einen hohen Anteil an Laurinsäure (ca. 60% in Premium-Produkten). Laurinsäure zählt zu den mittelkettigen Fettsäuren (MCTs), die nachweislich eine antifungale, antimikrobielle, und antibakterielle Wirkung haben. Sie sind damit quasi ein natürliches Antibiotika. Ich merke gerade, dass ich noch sehr viel zu MCTs zu sagen habe und werde diesen wohl einen eigenen Blogeintrag widmen.  Abgesehen davon, hat Kokosöl in verschiedenen Studien bezüglich der positiven Wirkung auf die Zahnerhaltung besser abgeschnitten.

Wenn du nun also dein Öl ausgespuckt hast, nimm einen Zungenschaber und fahre dir von hinten nach vorne über die Zunge. Zungenschaber aus Plastik erhältst du in jedem Drogeriemarkt. Allerdings würde ich dir ein Modell aus Edelstahl empfehlen, das ist hygienischer und ökologischer. Das bisschen Öl, das du hierbei abschabst, kannst du ohne Bedenken unter laufendem Wasser in das Spülbecken spülen lassen. Du wirst sehen, dass zu Beginn deiner Ölzieh-Praxis, das abgetragene Restöl noch ziemlich gelblich oder gräulich ist. Nach einer Woche täglichem Ölziehen ist der Belag nur noch weiß und du hast damit den unmittelbaren Beweis für eine funktionierende Entgiftung. Auch wird deine Zunge im Allgemeinen weniger belegt sein – ein Anzeichen für gute Gesundheit sowohl in der Traditionellen Chinesischen als auch in der Ayurvedischen Medizin. In letzterer ist die Balance zwischen den verschiedenen Doshas, den dynamischen Körperkräften (Pitta, Kapha, Vata) unter anderem an der Zunge abzulesen. Diese Konstitution ist entscheidend für das Prakriti einer Person; also ihren physiologischen und mentalen Charakter sowie die Anfälligkeit für Krankheiten. Faktoren wie Stress, ungesunde Diät, Wetter und die Beziehung zu deinen Mitmenschen haben Einfluss auf das Zusammenspiel deiner Doshas. (Ich bin keine Expertin für Ayurveda und würde dir raten, einen Ayurveda-Arzt aufzusuchen, wenn du mehr darüber erfahren möchtest.) Nach dem Abschaben der Zunge spülst du deinen Mund mit warmem Wasser mehrfach aus und putzt im Anschluss wie gewohnt deine Zähne. Ölziehen ist nämlich sicher kein Ersatz für das tägliche Zähneputzen.

Eine umfassende Studie zum Thema Ölziehen findest du hier:

Journal of Ayurveda and Integrative Medicine: Tooth Brushing, Oil Pulling and Tissue Regeneration: A Review of Holistic Approaches to Oral Health

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3131773/

Ich wünsche dir viel Spaß beim Ausprobieren!

Liebe,
Janna Raphaela